Ein Universum voller Möglichkeiten

Veröffentlicht am 4. Juni 2024 um 16:50

Das Metaverse und wie Industrie und Logistik davon profitieren können

Es muss sich schon um etwas Großes handeln, wenn Mark Zuckerburg seine ganze Firma danach benennt. Und doch sieht es aktuell auf den ersten Blick nicht danach aus, als würde es sich als das nächste große Ding durchsetzen. Die Rede ist vom Metaverse. Ein virtuelles Universum, dessen Vision eher wie die Phantasie eines Science-Fiction-Autors klingt.

Wen das Metaverse auch eher an eine erdachte Geschichte erinnert, hat nicht ganz unrecht, denn den Begriff prägte der Schriftsteller Neal Stephenson 1992 in seinem Roman „Snow Crash“. In seiner dystopischen Erzählung ist das Metaversum Fluchtraum vor der Realität und gleichzeitig auch deren unweigerliche Erweiterung. Geht es nach Zuckerburg soll das Metaverse auch genau dies für uns werden: eine Erweiterung unserer Realität um eine virtuelle Ebene, in der Grenzen als auch Zeit und Raum endgültig verschwimmen. Die Akzeptanz des Metaversums in der Bevölkerung ist bis jetzt allerdings eher gering. In einer Studie aus dem Jahr 2022 gaben laut Statista 51% der befragten Deutschen an, den Begriff Metaverse noch nie gehört zu haben. Das ist wenig verwunderlich, klingt die Idee doch erst einmal etwas realitätsfern. Die logische Konsequenz scheint daher, dass sich zunächst nur Gamer und Techies damit beschäftigen. Für die breite Masse und andere Anwendungsfelder ist da erstmal nichts zu holen. Oder etwa doch?

Metaverse im industriellen Kontext

So schnell sollte man das Metaverse nicht als Totgeburt abstempeln. Industrie und Logistik haben die Vorteile der virtuellen Realität schon länger für sich entdeckt und arbeiten an zahlreichen Projekten, um die Möglichkeiten des Metaverse in ihre Prozesse einzubinden. Laut einer Studie von Deloitte planen 40% der befragten Unternehmen bereits eine unternehmensweite AI-Strategie, die den Einsatz von Metaverse ermöglicht. Einen neuen Impuls für den zukünftigen Einsatz des industriellen Metaversums brachte erst kürzlich die Veröffentlichung der neuen Plattform Blackwell von Nvidia. Sie ermöglicht eine neue Art des Data-Processings und liefert damit eine Grundlage für den Einsatz generativer KI in Real-Time. Damit ist eine Voraussetzung für den flächendeckenden Einsatz des Metaverse geschaffen. Nvidia selbst bietet mit Omnieverse ein eigenes, auf die Bedürfnisse von Industrieunternehmen zugeschnittenes Metaverse an. Das Metaverse ermöglicht generell eine ganz neue Form der digitalen Kollaboration und der Gestaltung sämtlicher Arbeitsprozesse. "Es ist im Wesentlichen ein Overlay des Internets, ein Overlay der physischen Welt. Und es wird all diese verschiedenen Welten langfristig miteinander verschmelzen", sagt Nvidia-Chef Jensen Huang. Aber von vorne. Was ist das Metaverse und warum lohnt es sich, sich jetzt damit zu beschäftigen?

Virtueller Erfahrungsraum in der Industrie 4.0

Das Metaversum lässt die Grenzen zwischen der physischen und virtuellen Welt verschwimmen. Aus diesem Grund ermöglicht es auch die Simulation von Interaktionen mit physischen Objekten und Prozessen im virtuellen Raum. Dies setzt voraus, dass sich die digitale Repräsentation von Objekten und Prozessen aus Echtzeitdatenquellen speist. Für die Industrie 4.0 bietet das Metaverse also einen virtuellen Erfahrungsraum, in dem Prozesse designt, getestet und einem Qualitätscheck unterzogen werden können. Auch im laufenden Betrieb kann das Metaversum eine effektive Kontrolle aller Vorgänge, z.B. innerhalb der Produktion, ermöglichen. Ein umfassendes, industrielles Metaverse ist noch Zukunftsmusik. Der flächendeckende Einsatz der Technologie wird wohl auch noch auf sich warten lassen. Allerdings gibt es bereits einige Pioniere auf dem Markt, die die Möglichkeiten der neuen Technologie ausloten und ihren Einsatz bereits testen.

So setzt BMW im Rahmen des Digital-First-Ansatzes innerhalb der Produktion auf das Ominverse. Gegenüber dem Technology Magazin sagt Ludwig von Reiche (Managing Direktor bei Nvidia): „In der Vergangenheit war die Neukonfiguration von Produktionslinien mit erheblichen Kosten und Produktionsausfällen verbunden. Um dieses Problem zu lösen, nutzt BMW Omniverse, um einen durchgängigen digitalen Zwilling einer ganzen Fabrik zu entwerfen. Tausende von Planern, Produktingenieuren und Betriebsleitern können in einer einzigen virtuellen Umgebung zusammenarbeiten, um extrem komplexe Fertigungssysteme zu entwerfen, zu planen, zu simulieren und zu optimieren, bevor eine Fabrik gebaut oder ein neues Produkt in eine Produktionslinie integriert wird.“ (aus dem Englischen übersetzt) Dabei unterstreicht er, dass der Einsatz des Metaversums die Planungseffizienz um 30% erhöhe, die Planungszeit verkürze und die Flexibilität steigere. (Quelle: https://technologymagazine.com/articles/industrial-metaverse-digital-twins-reshaping-manufacturing) Diese Aspekte sind vor dem Hintergrund von steigenden Geschäftsrisiken wie Inflation, Lieferkettenschwierigkeiten, Fachkräftemangel und Nachhaltigkeitsauflagen besonders wichtig. Von Reiche führt aus, dass Mercedes-Benz dank des Einsatzes des Metaversums seine koordinativen Prozesse um 50% reduziert habe. Mit der Plattform MMA setzt Mercedes einen digitalen Zwilling im Rahmen der Fahrzeugproduktion ein. Auch Siemens möchte am geplanten Siemens-Campus in Erlangen einen digitalen Zwilling für den Einsatz im Metaverse testen.

SAP Chef Christian Klein gab bereits 2022 im Rahmen eines Quartalsberichts bekannt, dass SAP über eine eigene Anwendung im Bereich Metaverse nachdenke. Dabei wäre eine Blockchain basierte Commerce Cloud denkbar, welche Handelsaktivitäten von Unternehmen kanalübergreifend bündelt und verarbeitet.  In einem Interview aus 2023 erzählt Dr. Lukasz Ostrowski (Development Manager SAP Innovation Center Network) „Wir arbeiten darauf hin, unseren Kunden immersive Services auf der SAP Business Technology Platform (BTP) anzubieten. Diese Dienste sorgen für Kontinuität in einem ansonsten unverbundenen Raum und bringen Menschen und Anlagen einander näher, indem sie die Silos zwischen den Beschränkungen isolierter Systeme, Organisationen und die Kluft zwischen physischen und digitalen Arbeitsräumen aufbrechen. Es wird Kundenunternehmen ermöglichen, ihre bestehende SAP-Landschaft und Daten für immersive Geschäftsanwendungen zu nutzen.“ (Quelle: https://dsag.de/ausgabe-2-23/das-richtige-herangehen-ist-entscheidend/)

Metaversum: nicht nur eine, sondern zahlreiche bahnbrechende Technologien

Das Metaversum macht dies möglich, weil es die Grenzen von Raum und Zeit endgültig verschwimmen lässt. Die Verarbeitung von Echtzeitdaten ermöglicht kontinuierliches Feedback und zielgenaue Steuerung von Fabriken und Personal. Dies fördert eine größere und tiefere Einsicht in die komplexesten Interaktionen und Prozesse und ermöglicht somit echte, datengesteuerte Entscheidungen. Mithilfe einer ausgefeilten Visualisierung werden diese Daten sicht- und greifbar gemacht. Durch den Einsatz von VR-Brillen sinkt die Hürde für den Anwender. Auch NLP-Technologie wie OpenAI führt dazu, dass die Anwendungsschwelle weiter sinkt. Das Erleben von Prozessen mit allen Sinnen macht es leichter, die Zusammenhänge zu verstehen. Diese immersiven Technologien sorgen dafür, dass die Interaktion mit und im Metaversum so natürlich wie möglich verläuft. Hiermit wird auch klar, das Metaverse ist nicht nur eine neue Technologie, es ist eine neue Art der Anwendung und Bündelung zahlreicher Schlüsseltechnologien wie VR, AR, IoT, KI, Big Data, Block Chain, 5G, Quantum Computing und digitalen Zwillingen.

Innerhalb von Logistik und Produktion können so immer komplexere und dynamischer werdende Lieferketten abgebildet werden. Sämtliche im Metaverse ausgefertigten Prognosen können dabei helfen, eine insgesamt resilientere Lieferkette zu gestalten und schneller und flexibler auf Veränderungen zu reagieren. Nur ein Beispiel für einen ungemein beeinträchtigenden, äußeren Einfluss ist die jüngst vergangene Corona-Pandemie. Blockchain-Technologien helfen z.B. dabei, virtuelles und physisches Eigentum zu verknüpfen. Sie sind Grundlage dafür, dass virtueller Besitz überhaupt erst möglich wird. Das Metaversum könnte so dazu genutzt werden, den digitalen Eigentumswechsel auch physisch abzubilden und umgekehrt. Ein Container könnte z.B. digital den Besitzer wechseln. Dieser Eigentumswechsel könnte später auf den realen Container übertragen werden. Die erweiterte Realität steigert die Effizienz, Produktivität und Sicherheit von Prozessen, indem diese immer wieder, beliebig häufig und in unterschiedlicher Ausprägung in der virtuellen Realität getestet und verfeinert werden können. Durch den Einsatz von VR reduziert sich ebenfalls der Schulungsbedarf von Mitarbeiter*innen. Relevante Informationen zu Anwendungen oder Industrieanlagen können während der Verwendung direkt ins Blickfeld eingespielt werden. Dies ist nur eine von vielen Anwendungsmöglichkeiten des Metaversums, die dem Fachkräftemangel entgegenwirken können. Z.B. könnte ein/eine Mitarbeiter*in am Wareneingang per VR/AR Brille Anweisungen und Hilfestellungen zur effizienteren Durchführung von Qualitätskontrollen erhalten. Außerdem können Szenarien simuliert und Bottlenecks identifiziert werden. Geplante Anlagen oder Software können in bereits laufende Fertigungsprozesse virtuell eingebunden und neue Arbeitsabläufe in 3D visualisiert werden. Remote Support via Metaverse reduziert Stillstandzeiten. Innerhalb der Meta Cloud könnten Informationen von Anlagensensoren und sämtliche unternehmensweite Daten gesammelt und konsolidiert werden. Somit ließe sich der gesamte Workflow und Informationsfluss effizient steuern und organisieren. Im Rahmen der Maschinenwartung können Visualisierung und Prognosedaten zu mehr Prozesseffizienz durch weniger Maschinenausfallzeiten führen. Außerdem können KI-basierte Organisations- und Steuerungsinformationen zugänglich gemacht werden. Diese können sich z.B. konkret in Prognosetools zur Kapazitätsplanung und Risikovorhersagen für Lieferketten niederschlagen. Innerhalb des Metaversums können autonome Roboter schnell getestet und jederzeit mit den notwendigen Daten versorgt werden.

Besonders der Einsatz des digitalen Zwillings steht für Anwendungen des Metaversums im Mittelpunkt. Hierbei handelt es sich um die digitale Kopie eines physischen Systems oder einer Umgebung. Der Zwilling muss daher sehr präzise sein. Er muss die physikalischen und prozessualen Bedingungen umfassend und genau abbilden. So ließen sich virtuelle Prototypen erstellen, ganze Anlagen entwerfen und optimieren, Lieferketten und Netzwerke planen und vorrausschauende Wartungen durchführen. Dabei könnte das Metaverse dabei helfen, Engpässe auszuweisen, Lager- und Distributionsprozesse zu konfigurieren, Daten vollständig über alle Standorte hinweg zur Verfügung zu stellen und Vermögenswerte in kollaborativer, virtueller Umgebung zu steuern. Die einheitliche Darstellung aller Daten ermöglicht insgesamt eine nahtlose Zusammenarbeit und bessere Kommunikation zwischen Standorten und Abteilungen. So könnte das Metaversum zur Shop-Floor Optimierung beitragen. Arbeitsprozesse können durch die bessere Bereitstellung von Informationen einfacher und schneller gestaltet werden. Bei Problemen können z. B. Experten einfach und schnell über VR-Brille hinzugeschaltet werden, und das vollkommen zeit- und ortsunabhängig. Picked by Voice und die Verfügbarkeit von Pricing Infos können zudem die Effizienz der Arbeitsprozesse steigern. Außerdem ist eine Bedarfs- und Bestandsprognose möglich.

Unternehmerische Risiken beim Einsatz des Metaversums

Die neue, virtuelle Realität bietet also in der Theorie viele Vorteile. Dennoch ist der Einsatz des Metaversums nicht ohne Risiken. So fehlt es in den meisten Firmen an entsprechendem technischem Know-How, die steigenden Datenmengen stellen die Cybersicherheit vor eine neue Herausforderung und oft fehlen die entsprechend aufbereiteten Daten, z.B. zur Erstellung eines digitalen Zwillings. Das Metaversum kommt auch mit zahlreichen Voraussetzungen daher. Es wird eine entsprechend leistungsstarke Hardware, z.B. in Form von VR-Brillen, benötigt und ganze Fabriken und Produktionslinien müssen entsprechend mit einer geeigneten Sensorik ausgestattet werden, die das effektive Sammeln von Echtzeitdaten erlaubt. Zur Erstellung eines vollständigen, digitalen Zwillings müssen ganze Fabriken digital nachgebildet werden. Die Verarbeitung der Daten muss innerhalb eines stabilen, leistungsstarken Netzes mit geringen Latenzen geschehen (5G). Für den Umgang mit Big Data bedarf es Edge-Computing und nicht zuletzt müssen auch Resilienzen innerhalb der Belegschaft/bei den Anwender*innen abgebaut werden. Die teilweise geringen technischen Kenntnisse einiger Mitarbeiter*innen setzen eine Low-Code- oder No-Code-Plattform voraus oder auch Plug and Play-Anwendungen. In Bezug auf all diese Voraussetzungen muss man feststellen, dass das Konzept des Metaverse die aktuellen Möglichkeiten des Marktes noch übersteigt.

Aufbruch ins Metaversum

Es ist also noch viel zu tun, bis das Metaversum mit all seinen Möglichkeiten einsatzbereit ist. Doch schaut man sich allein den KI-Markt an, der ja eine Voraussetzung für das Metaversum ist, dann stellt man schnell fest, dass die Entwicklung aller Grundlagentechnologien schnell vonstattengeht. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis uns alle Vorrausetzungen vorliegen, das Metaverse in seiner Gänze einzusetzen. Seine Möglichkeiten gehen weit über das interaktive Spielen von Games hinaus und könnten eine neue technologische und industrielle Revolution vorantreiben. In jedem Fall lohnt es sich, die eigenen Bedarfe und Möglichkeiten in diesem Bereich frühzeitig auszuloten, denn das Metaverse bietet: Interkonnektivität, Interaktivität, Simulation, dezentralisierte Umgebung und beständige Realität auf einem Niveau wie keine Anwendung zuvor und das bringt eine immense wirtschaftliche Power mit sich, die es nutzbar zu machen gilt.

 

JMF